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Weiß, leer, handgebundene Bücher

Formen

Die wuchernden – teils amorphen und minimalistischen Formen – scheinen manchmal von einem Tier geschaffen worden zu sein. Inhaltlich ist mir die feingliedrige Vernetzung in den Abbildungen unten, der oft lange Prozeß vom Rohmaterial bis zum gewandelten Objekt und zunehmend auch der historische Bezug wichtig.

Vor einigen Jahren anläßlich einer Einladung zu einem Vortrag über meine Objekte bin ich beim Recherchieren auf Aspekte von Papier gestoßen, die mich seit dem beschäftigen. Eine Fülle von Experimenten, Querverbindungen und theoretischen Schriften bereichern mich und meine zwei- und dreidimensionalen Arbeiten immer von Neuem. Um diesem außerordentlich vielseitigen Material PAPIER eine Plattform auf gebührendem Niveau zu geben, habe ich die Werkstatt PapierWespe für PapiermacherInnen und PapierkünstlerInnen gegründet. Papier soll hier botanisch, historisch, ethnologisch, künstlerisch und handwerklich untersucht, er- und verarbeitet werden.

A materialized Mental Space

Diese Objekte vereinen meine Hingabe an Bücher, an die Gedanken eines Menschen, der versucht die Welt zu interpretieren, was wiederum meine Gedanken bereichert und Teil dessen Welt ich werden kann.

Auch die Betonung der Papierkante und das Formen eines Objektes aus flachen Teilen – eben Papieren – zu einem räumlichen Körper entspricht meinen Vorstellungen von einem aussagekräftigen Papierobjekt.

Für mich reizvoll ist hier die Kombination von Buch oder Papier, das in weiterer Folge auch handgemacht sein könnte, Buchbinden – also dem Nähen von Papier und Papierfalten.

Ein Buch für ihn

Mein Mann wurde heuer 50 Jahre alt. Mindestens 20 Jahre lang hat er seine Unterlagen im Schrank nicht angerührt. Sie haben dort gewartet, könnten noch gebraucht werden, aber jetzt beginnt er sie durchzusehen, sie wegzuschmeißen. Das Archäologiestudium wird nicht mehr gebraucht werden, die Liebesbriefe werden keine Beziehung mehr vorantreiben. Jetzt gibt es Gewissheit, brauchbar ist nur die Gegenwart. Das ist wohl ein Teil des Alters, die Jahre die vor einem liegen als abschätzbaren Zeitraum und die einem offenstehenden Möglichkeiten nicht mehr als unendlich zu erkennen.

Ich nehme die handschriftlichen Papiere aus dem Papierkorb, löse die stark verrosteten Büroklammern und nehme die Papierstapel in die Werkstatt mit.
Ich werde neues Papier daraus schöpfen, vielleicht gemeinsam mit den Fasern eines alten Handtuchs. Die Buchstaben und Worte vom Skript werden zum Teil noch erkennbar sein. Später binde ich die einzelnen Blätter und schenke ihm das Buch für neue Einträge.

Düngen

Immer öfters entstehen in den Arbeitsräumen kleine Objekte, Proben, manchmal ist der Abfall brauchbarer als das gemeinte Werk. Diese Objekte werden zu Ensembles gehängt, sich aufeinander beziehend und wie in der Arbeit DÜNGEN bilden sie ein Dorf, eine Gemeinschaft. Schon früher konnte ich mit einem Objekt alleine kaum was anfangen. Es muss sich erst in Beziehung setzen zu anderen, meistens Objekten, die auch zeitlich in kurzem Abstand aufeinander entstehen oder sich sogar bedingen. So bildet sich eine Welt mit einer Vielzahl an Entstehungsgeschichten, motiviert durch den Versuch Papierobjekte ins Leben zu rufen, durch Einbetten von Draht, Schneiden eines Buchblocks, Verwendung von Rohflachs als Rohstoff. In der Erscheinung sind sie mehrlagig, faltig, verschroben, teils beweglich oder aufgefädelt.
Der Titel „Düngen“ versteht sich als Aufforderung an den Betrachter, meine Arbeit durch betrachten, reflektieren, reagieren zum Wachsen zu verhelfen, zu motivieren, zu düngen.

Skizzenbuch

Wir

Heubuch

„Denn Natur bezeichnet weder das, was der Aktivität der menschlichen Vernunft vorausging, noch das Gegenteil von  Kultur, sondern das , was alles Entstehen und Werden ermöglicht, das Prinzip und die Kraft, die verantwortlich sind für Genese und Transformation jeglichen Gegenstands, jeglicher Entität oder Idee, die je existiert hat und existieren wird. Was die Welt ist, müssen wir von den Pflanzen erfragen – denn eben sie ›machen Welt‹. Pflanzen vereinigen in ihren Körpern und in ihrer Erfahrung Erde und Himmel, Stein und Licht, Wasser und Sonne, das Bild der Welt in ihrer Gesamtheit.

Diese Welt ist für die allermeisten Organismen ein Produkt des Pflanzlichen Lebens“, schreibt Emanuele Coccia in seinem Buch Die Wurzeln der Welt.

Der Garten Eden ist folglich unsere Voraussetzung. Eigenartig an etwas anderem als seiner Verwirklichung und  Verstärkung zu arbeiten.

Die Pflanzen geben die Welt des Atems und der Formen vor und sind vielfältiger Rohstoff. Im vorliegenden Buch wurde Heu zu Papier verarbeitet. Gras, Halme und Unkraut sind zwischen zwei Papierlagen eingeschlossen und bilden so den Buchblock.

Buchblock?

Diese auf einer Seite deutlich dickeren Buchblöcke sind durch die unterschiedliche Grammatur der einzelnen Buchpapiere entstanden.

Lochheft

Nachwort in der hinteren Vorsatzlage

versammelt für mich zentrale Textstellen aus dem Buch Siddhartha von Hermann Hesse. Die wichtigsten Passagen sind gelasert. Die neuerliche Beschäftigung mit einem anderen Bewusstsein wurde sehr vom Covid-Virus unterstützt.

Beatrix Mapalagama
Jahr 2020
Papier aus Baumwolle handgeschöpft
gelb pigmentierter vorderer und hinterer Vorsatz
handgeheftet und gebunden
Pigmentdruck
Auflage 5 Stück
Textauszüge aus der Erzählung Siddhartha von Hermann Hesse
teils gelasert von der Firma rausgebrannt

OM

Technik: farbige Papierstücke zwischen handgeschöpften Papieren, Text handschriftlich, handgebunden, Unikat
Format: fast A4
Jahr: April / Mai 2020
Künstlerinnenbuch von Beatrix Mapalagama

Das Buch Siddhartha von Hermann Hesse ist schon lange am Nachtkästchen gelegen, aber erst Corona hat mich wirklich dazu veranlasst, es noch einmal zu lesen. Das Leben hat sich in dieser Zeit von seiner wahren und immer unsicheren Seite präsentiert, was wir nicht wahrhaben möchten und möglichst ausschalten wollen durch flächendeckende Absicherung.
Formal sollte sich nach jedem Umblättern durch die transparenten Papiere eine andere Bildgestaltung also eine gestaltete Doppelseite ergeben. Es würde ganz der Intention entsprechen im Buch zurück und auch vorausschauen zu können. Der folgende Text aus Siddhartha wurde handschriftlich eingefügt.

Er sah seines Freundes Siddhartha Gesicht nicht mehr, er sah stattdessen andere Gesichter, viele, eine lange Reihe, einen strömenden Fluss von Gesichtern, von Hunderten, von Tausenden, welche alle kamen und vergingen, und doch alle zugleich dazusein schienen, welche alle sich beständig veränderten und erneuerten, und welche doch alle Siddhartha waren. Er sah das Gesicht eines Fisches, eines Karpfens, mit unendlich schmerzvoll geöffneten Maule eines sterbenden Fisches, mit brechenden Augen – er sah das Gesicht eines neugeborenen Kindes, rot und voll Falten, zum Weinen verzogen  – er sah das Gesicht eines Mörders, sah ihn ein Messer in den Leib eines Menschen stechen – er sah, zur selben Sekunde, diesen Verbrecher gefesselt knien und sein Haupt vom Henker mit einem Schwertschlag abgeschlagen werden – er sah die Körper von Männern und Frauen nackt in Stellung und Kämpfen rasender Liebe –, er sah Leichen ausgestreckt still, kalt, leer – er sah Tierköpfe, von Ebern, von Krokodilen, von Elefanten, von Stieren, von Vögeln, – er sah Götter, sah Krishna, sah Agni –, er sah alle diese Gestalten und Gesichter in tausend Beziehungen zu einander, jeder der anderen helfend, sie liebend, sie hassend, sie vernichtend, sie neu gebärend, jede war ein Sterbenwollen, ein leidenschaftlich schmerzliches Bekenntnis der Vergänglichkeit, und keine starb doch, jede verwandelte sich nur, wurde stets neu geboren, bekam stets ein neues Gesicht, ohne dass  doch zwischen einem und den anderen Gesicht Zeit gelegen wäre – und alle diese Gestalten und Gesichter ruhten, flossen, erzeugten sich, schwammen dahin und strömten ineinander, und über alle war beständig etwas Dünnes, Wesenloses, dennoch Seinendes, wie ein dünnes Glas oder Eis gezogen, wie eine durchsichtige Haut, eine Schale oder Form oder Maske von Wasser, und diese Maske lächelte, und diese Maske war Siddharthas lächelndes Gesicht, das er, Govinda, in ebendiesen selben Augenblick mit den Lippen berührte. Und, so sah Govinda, dies Lächeln der Maske, dies Lächeln der Einheit über den strömenden Gestaltungen, dies Lächeln der Gleichzeitigkeit über den tausend Geburten und Toden, dies Lächeln Siddharthas war genau dasselbe, war genau das gleiche, stille, feine, undurchdringliche, vielleicht gütige, vielleicht spöttische, weise tausendfältige Lächeln Gotamas, des Buddhas, wie er selbst es hundertmal mit Ehrfurcht gesehen hatte. So, das wusste Govinda, lächelten die Vollendeten.

Recycling Grimmelshausen

Im Continuatio des Abentheuerlichen Simplicissimi schreibt Hans Jacob Grimmelshausen über die Verwandlung eines Hanfsamens in Faserhanf, Stoff, Kleidung, Schreibpapier und Packpapier.
Der Text stammt aus dem 17. Jahrhundert, handgeschöpftes Recyclingpapier von Beatrix Mapalagama, Grafik Savannah Mapalagama, Pigmentdruck, Auflage 5 Stück

Vergiss mein nicht

Mit einem Buch will man immer auch in Erinnerung bleiben.

Wasserfall